Die Awareness für eine mögliche Spastik nach Schlaganfall ist leider sowohl bei Ärzt*innen, als auch bei Patient*innen und Angehörigen noch zu gering. In Deutschland werden nur zehn Prozent der Betroffenen mit behindernder Spastik leitliniengerecht behandelt.2,3 Daher wollen wir uns gemeinsam mit unseren Partnern für einen holistischen Behandlungsansatz von Spastik-Patient*innen einsetzen. Erfahren Sie auf dieser Seite mehr zu den Symptomen, der Diagnose und den Behandlungsmöglichkeiten einer Spastik nach Schlaganfall.
13,7 Millionen Menschen werden dieses Jahr ihren ersten Schlaganfall erleiden.
Schlaganfälle sind die zweithäufigste Todesursache
und die dritthäufigste Ursache
für Behinderung weltweit
8,2 Millionen Menschen
werden diesen Schlaganfall
überleben und mit den Folgen
leben müssen1
Ein Schlaganfall kann unterschiedliche akute und chronische Folgen haben
- Kognitiv: bspw. Sprach- und/oder Artikulationsstörung
- Psychosozial: bspw. Depression, Schwierigkeit bei Bewältigung des Alltags (Arbeitsleben und Familienalltag), Isolation
- Körperlich: körperliche Einschränkungen, die zur Pflegebedürftigkeit führen, halbseitige Lähmungen, bei 20 bis 40 Prozent der Schlaganfallüberlebenden kann es zu Spastiken kommen
Spastik nach Schlaganfall – Alles Wichtige auf einen Blick
Als Spastik wird eine Bewegungsstörung bezeichnet, die mit einer Erhöhung der Muskelspannung (Steifigkeit) einhergeht. Diese wird deutlicher, wenn eine Bewegung schneller ausgeführt wird. Man unterscheidet zwischen einer fokalen Spastik, die z. B. nur einen Arm oder ein Gelenk betrifft und einer regionalen oder generalisierten Spastik, bei der mehrere Körperregionen oder auch der ganze Körper betroffen sind.
Die Ursachen können vielfältig sein. Auch wenn es sich so anfühlen mag, ist eine Spastik keine Erkrankung der Muskulatur, sondern wird durch eine Schädigung des Gehirns oder des Rückenmarks ausgelöst. Die häufigste Ursache für das Auftreten einer Spastik ist der Schlaganfall. Im Gehirn werden die Bewegungen des Körpers koordiniert. Eine Schädigung der Nervenbahnen in diesem Bereich führt dazu, dass die Kontrolle auf die Muskeln gestört wird. Im Fall einer Spastik bedeutet dies, dass unkontrollierte Impulse an den Muskel gesendet werden und dieser sich dadurch zu stark anspannt.
Bei einer Schädigung des Nervensystems, die zu einer Spastik führt, treten neben der Spannungszunahme der Muskulatur typischerweise weitere Beschwerden auf. Wie z. B.:
- verminderte Kraft
- eine Einschränkung der aktiven und passiven Beweglichkeit
- ungewollte, rhythmische Kontraktionen der Muskeln (Klonus)
- schmerzhafte, plötzliche Muskelkrämpfe und plötzlich zuckende/ruckartige unwillkürliche Bewegungen
- Schmerzen
- eine Einschränkung der Koordination und Feinmotorik
- eine Störung der Wahrnehmung
Durch die Spastik in bestimmten Muskeln bzw. Muskelgruppen entstehen typische Haltungsformen, sogenannte Spastikmuster. Das Haltungs- und Bewegungsmuster bei einer spastischen Lähmung des Armes oder Beines lässt sich bei den meisten Betroffenen einem der folgenden Muster zuordnen, wobei die Übergänge fließend sind:
Im Arm:
Im Bein:
Die Einschränkungen im Alltag sind für Menschen mit einer Spastik mannigfaltig und abhängig davon, wie stark sie betroffen sind. Manche Menschen mit einer Arm- oder Beinspastik sind nur leicht bewegungseingeschränkt, während andere erhebliche Schwierigkeiten bei der Bewältigung selbst kleiner, alltäglicher Aufgaben haben. Bei einer Armspastik haben Betroffene häufig Schwierigkeiten beim Ankleiden, der Körperhygiene oder auch beim Kochen. Bei einer Beinspastik sind Betroffene oft vor allem im Bereich der Mobilität eingeschränkt und sind in vielen Fällen auf Gehhilfen angewiesen. Die häufig mit einer Spastik einhergehenden schmerzhaften Veränderungen in den Gelenken oder Muskeln, Schlafstörungen oder Haltungsschäden beeinträchtigen die Lebensqualität zusätzlich.4
Unterschiedliche Therapieansätze in Kombination sind der Schlüssel zum Erfolg. Die Behandlung einer Spastik richtet sich nach den individuellen Einschränkungen der Patient*innen. Die Vereinbarung gemeinsamer Therapieziele zwischen Arzt*in und Patient*in, wie z. B. weniger Schmerzen, Verbesserung der Körperhaltung, leichteres Ankleiden, die mit der Therapie erreicht werden sollen, hat sich bewährt.
Ein wesentlicher Baustein der Behandlung ist häufig die Minderung der Muskelanspannung, die durch die Spastik verursacht wird. Hierdurch kann eine erhöhte Beweglichkeit erreicht werden, sodass sich beispielsweise eine Hand wieder öffnen lässt oder mit dem Fuß wieder flach aufgetreten werden kann. Ein solches Behandlungskonzept kann unterschiedliche therapeutische Maßnahmen umfassen, wie z. B.:
- Physiotherapie
- Ergotherapie
- Medikamente zum Einnehmen
- Injektionen mit Botulinumtoxin
- Schienen und Bandagen
- Operationen
- Medikamente ins Rückenmark
Meistens sind mehrere dieser Therapien in der Kombination sinnvoll, um einen größtmöglichen Therapieerfolg zu erzielen.5 Eine vollständige Heilung der Spastik ist jedoch leider nicht möglich. Ansprechpartner für Betroffene mit Verdacht auf Spastik können Hausärzt*innen und Neurolog*innen sein.
Was ist Botulinumtoxin?
Botulinumtoxin ist ein Eiweiß (Protein), das in der Natur vom Bakterium „Clostridium botulinum“ gebildet wird. Man ist in der Lage, dieses Eiweiß aus Kulturen dieses Bakteriumsfür medizinische Zwecke zu gewinnen. Es wird dann als Arzneimittel in hochreiner Form verwendet und als Injektion (Spritze) in den betroffenen Muskel verabreicht.
Botulinumtoxin schwächt die für die Muskelkontraktion verantwortlichen Nervensignale ab und führt so zu einer Entspannung der Muskeln. Schon sehr geringe Mengen reichen zur Behandlung aus. In der Regel stellt sich die Wirkung des Botulinumtoxins innerhalb einer Woche nach der Injektion ein. Für einen Zeitraum von drei bis vier Monaten, in manchen Fällen auch länger, kann es die überaktiven Muskeln entspannen und Krämpfe und unwillkürliche Bewegungen mindern.
Wenn die Wirkung der Injektionstherapie nachlässt, kann die Behandlung wiederholt werden – frühestens jedoch nach zwölf Wochen. Das Nachlassen der Wirkung nach einem gewissen Zeitraum macht zwar die Wiederholung von Injektionen erforderlich, eröffnet aber auch die Möglichkeit, die Behandlung durch eventuelle Dosisanpassung oder Wechsel des Injektionsortes weiter zu optimieren.
Wie bei allen Arzneimitteln kann es auch bei Botulinumtoxin zu Nebenwirkungen kommen. Diese können, müssen aber nicht, bei allen Betroffenen gleichermaßen oder in gleicher Stärke auftreten. So kann die Injektion mit Botulinumtoxin u. a. zu Muskelschwäche, Schmerzen an der Einstichstelle oder Schluckstörungen führen. Weitere Informationen hierzu finden sich in der Gebrauchsinformation.6
Im Video erzählt Dagmar, die selbst betroffen ist, über ihr Leben mit einer Beinspastik.
Weiterführende Links für Patient*innen und Angehörige
Räume zum Hören: Podcast-Folge „Entlassen und verlassen? Wie es nach einem Schlaganfall zuhause weitergeht“
Weiterführende Links für
Angehörige der Fachkreise
Quellen
- Kuriakose D, Xiao Z. Pathophysiology and Treatment of Stroke: Present Status and Future Perspectives. Int J Mol Sci. 2020;21(20):7609. Published 2020 Oct 15. doi:10.3390/ijms21207609
- Potempa et al, Zur Versorgungslage von Patienten mit spastischer Bewegungsstörung in Deutschland, MFV 03/2019 12. Jahrg.
- Katzenmeyer et al, Prävalenz und medikamentöse Behandlungsstrategie des spastischen Syndroms in Deutschland–Eine Retrospektive Analyse von Abrechnungsdaten der gesetzlichen Krankenversicherung. Gesundheitsökonomie & Qualitätsmanagement 28.01 (2023): 54-59.
- Jacinto, Jorge, et al. „Patient perspectives on the therapeutic profile of botulinum neurotoxin type A in spasticity.“ Frontiers in Neurology 11 (2020): 541548.
- Platz, T. „S2k-Leitlinie: Therapie des spastischen Syndroms.“ DGNeurologie 2.4 (2019): 258-279.
- AW-123213-04.pdf (ipsen.com)