UMGANG MIT APHASIE,
SPASTIK UND DER ANGST VOR
EINEM WEITEREN SCHLAGANFALL EXPERTENGESPRÄCH MIT DR. AXEL SCHRAMM
UND CHRISTOPH HOFSTETTER

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Dr. Axel Schramm arbeitete nach seinem Studium der Humanmedizin zunächst als Assistenzarzt am Universitätsklinikum Erlangen. Bevor er vor einigen Jahren in die NeuroPraxis im mittelfränkischen Fürth wechselte, war er langjähriger Oberarzt an der Universitätsklinik Erlangen und Leiter der Klinischen Neurophysiologie sowie diverser Spezialambulanzen. In seiner täglichen Arbeit sind ihm Menschlichkeit, Zuwendung und Empathie besonders wichtig. Seinen Patienten möchte er die bestmögliche Diagnostik und Therapie zukommen lassen. Für seine wissenschaftlichen Arbeiten ist Dr. Axel Schramm mehrfach ausgezeichnet worden.

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Christoph Hofstetter begann seine berufliche Karriere als staatlich anerkannter Physiotherapeut. Später schloss er seinen Bachelor mit dem Schwerpunkt Neurorehabilitation und Neurowissenschaft ab. Heute ist er vielseitig unterwegs: als Autor, Lehrbeauftragter, Gastdozent und Inhaber des interdisziplinären Therapiezentrums im nordrhein-westfälischen Warburg. Und er hat die webbasierte, interaktive Rehaplattform „Caspar“ mit entwickelt. Sie soll Patienten motivieren, ihre Übungen auch zuhause durchzuführen. Per Video oder Chat bekommen sie dort online Feedback vom Therapeuten.

Nach einem Schlaganfall tritt häufig eine Störung der Kommunikationsfähigkeit auf – sowohl beim Sprechen als auch beim Verstehen. In diesem Zusammenhang wird von einer Aphasie gesprochen. Können Sie kurz erklären, was darunter verstanden wird und wie Familienangehörige in solchen Fällen mit Schlaganfallpatientinnen und -patienten kommunizieren können?

Dr. Schramm:
Eine Aphasie, also eine Sprachstörung, tritt auf, wenn die entsprechenden Areale im Gehirn geschädigt sind, die für die Sprache zuständig sind. Um es besser zu verstehen: Es ist so, dass das Sprachzentrum bei Menschen immer in ihrer dominanten Hirnhälfte liegt. Bei einem Rechtshänder ist die dominante Hirnhälfte die gegenüberliegende, die linke. Nur, wenn diese dominante Hirnhälfte geschädigt ist, kommt es zu einer Sprachstörung.

Es gibt zwei Typen einer Aphasie:

  • Die motorische: Bei dieser Form der Aphasie hat der Patient Wortfindungsschwierigkeiten und kann sich nicht ausdrücken. Sein Sprach-veständnis ist aber erhalten.
  • Die andere Form ist die sensorische Aphasie: Hier ist das Sprachverständnis verloren.
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Zum Glück ist die motorische Form häufiger, denn man kann sich vorstellen, dass die Kommunikation extrem schwierig ist, wenn Patienten nichts mehr verstehen können. Wenn jemand aber noch verstehen kann, dann ist Kommunikation möglich.

Die Sprache ist in unserer Gesellschaft sehr hoch bewertet – aber ich motiviere Patienten immer, auch andere Wege zu gehen und Kommunikation so möglich zu machen. Man muss seine Ressourcen mobilisieren und aktivieren! 

Selbst wenn ein Mensch nur noch ein oder zwei Wörter sprechen kann, dann kann er sich damit ausdrücken und durch die Sprachmelodie und Gesten kommunizieren. Oder durch „Ja“ und „Nein“ – das können auch viele Patienten noch sagen oder durch die Kopfbewegung zeigen. Für Angehörige kommt es darauf an, die richtigen Fragen zu stellen. Manchen hilft es auch, eher singend als sprechend Wörter zu formulieren oder in ihrer ursprünglichen Muttersprache – falls die eine andere ist als die Alltagssprache zuletzt. Man muss Patienten und Angehörigen ans Herz legen, die nonverbale Kommunikation zu aktivieren und darauf zu vertrauen, damit gut leben zu können. Außerdem braucht es einfach viel Geduld in der Kommunikation mit Patienten.

Am Anfang ist der Schock für Angehörige und Patienten groß, dass dieses mächtige Werkzeug der Sprache verlorengegangen ist. Beide müssen deshalb motiviert werden, dass es noch so viel mehr gibt als die Sprache. Das funktioniert auch meistens sehr gut.

Hofstetter:
Bei einer Aphasie müssen Angehörige die Fragen anders stellen, so wie es Dr. Schramm vorgeschlagen hat. Patienten mit einer Sprachstörung werden durch diese zum einen in ein passives Sprachverhalten gebracht. Zum anderen bleibt ihnen zu Beginn ihrer Sprachstörung keine andere Wahl. Ein wichtiges Kommunikationsziel wäre für diese Patientengruppe, aus ihrem passiven Sprach-gebrauch herauszufinden und einen aktiveren Sprachgebrauch zu erwerben. Es gibt den aktiven und passiven Sprachgebrauch in der Kommunikation. Sich wieder selbst zu Wort zu melden, wäre ein wichtiger Schritt hin zu kommunikativer Teilhabe und Dialog. 

Hier kann die Sprachtherapie, die Logopädie, für Patienten, aber auch für Angehörige, eine wichtige Orientierung und Hilfe sein. Da können wir den Tipp geben: Gehen Sie mit in die Sprachtherapie, das kann auch ein Training für beide werden – eine Kommunikationsschule für Patient und Angehörige.

Es gibt ein tolles Kommunikationsbuch, ein großformatiges Ringbuch, da können Patienten auf die Symbole zeigen und sich so verständlich machen. Zudem können individuelle Bilder eingefügt werden. Schreiben ist durch die Störung nicht möglich, deshalb kann ein Tablet, in das man Wörter eintippen muss, kein Ersatz und keine Lösung sein. 

Aber es gibt noch andere Auswahlangebote, beispielsweise einen Sprachcomputer, der für Patienten sprechen kann. Ein Computerprogramm von Canon kann ich diesbezüglich empfehlen.

Wissenswert – Hirnforschung:
Früher dachte man, dass Patienten, die von einer Störung der sprachdominanten Hirnhälfte betroffen sind, stärkere Einbußen in der Lebensqualität haben. Aber es hat sich überraschenderweise heraus-gestellt, dass Patienten mit der Sprachstörung einen besseren Outcome und eine bessere Lebensqualität haben als die Gruppe, die auf der anderen Seite des Gehirns betroffen ist. Diese zweite Patientengruppe hat öfter mit Depressionen und einer Vernachlässigung der gegenüberliegenden Körperhälfte zu tun, was in der Therapie oft schwieriger zu behandeln ist. Das ist die gute Nachricht: Trotz der schwierigen Situation mit der Sprachstörung haben Patienten meistens eine gute Lebensqualität.

Viele Patientinnen und Patienten sowie deren Angehörige haben häufig Angst vor einem zweiten Schlaganfall. Wie können Angehörige mit dieser Angst umgehen und dabei mithelfen, dass es nicht zu einem zweiten Schlaganfall kommt?

Dr. Schramm: 
Wir wissen ja, dass ein Schlaganfall meistens nur die Spitze des Eisberges einer jahrelangen Fehlentwicklung im Körper ist. Oft hat das mit dem eigenen Verhalten, aber auch mit unseren Lebensumständen zu tun: falsche Ernährung, Bewegungsmangel und was alles daraus resultiert: Übergewicht, Diabetes usw. 

Aber was wichtig ist für Patienten: Sie sind dieser Entwicklung nicht hilflos ausgeliefert, können etwas dagegen tun und ihr Verhalten ändern. Diesem Schlag, der sie getroffen hat, können sie entgegentreten, die Lebensweise verändern, mit dem Rauchen aufhören, gesünder essen, sich bewegen. Medikamente können dazu beitragen, aber die ärztlichen Möglichkeiten sind begrenzt und Patienten können sehr viel selbst machen – gerade mit Angehörigen zusammen. Diese können durchaus dabei unterstützen. 

Aus dem Schicksalsschlag kann man so etwas Positives machen. Schuldzuweisungen bringen nichts, sondern man muss nach vorne blicken, realistische Ziele haben und keinen Druck aufbauen. Im Gegenteil, Angehörige können die besten Berater sein, dabei mithelfen, neue Lebensinhalte und Motivationen zu finden und zu gestalten – zusammen mit Patienten. Und dann auch gemeinsame Erfolge feiern! Das meine ich im wörtlichen Sinne.

Hofstetter:
Ein Schlaganfall ist nicht das Ende des Lebens, sondern kann ein Neuanfang sein. Man kann sich fragen: Was habe ich denn früher gerne gemacht, wofür ich aber nie Zeit hatte und was kann ich jetzt vielleicht sogar durch die gewonnene Lebenszeit realisieren? Sich neue Perspektiven und Ziele selbst zu entwickeln ist genauso wichtig wie die Therapie. Man darf sich nicht in seinen Rollstuhl zu Hause verkriechen und darauf warten, dass ein Therapeut alles regelt, damit es mir besser geht. Der Therapeut kann nie der „Heiler“ sein. Es ist wichtig, wieder soziale Kontakte zu pflegen und aktiv zu werden. Bei jüngeren Patienten empfehle ich auch, den Sport, den sie früher gemacht haben, wieder aufzunehmen, wie beispielsweise ins Fitnessstudio oder zum Schwimmen zu gehen.

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Nach einem Schlaganfall besteht zudem das Risiko, dass eine spastische Bewegungsstörung auftritt. Worauf können Patienten und Angehörige in diesem Zusammenhang achten, um eine Spastik so früh wie möglich erkennen zu können und behandeln zu lassen? Wie können Angehörige hier helfen?

Dr. Schramm:
Eine Spastik ist sehr häufig nach einem Schlaganfall. Gerade bei einem schweren Schlaganfall mit einer hochgradigen Halbseitenlähmung tritt die Spastik eigentlich sogar in der Regel danach auf. Das ist auch gar nicht schwer zu erkennen. 

Da gibt es zwei Komponenten einer solchen Halbseitenlähmung oder „Hemiparese“, wie wir Mediziner sagen: Das eine ist die Schwäche und das andere ist die Spastik. Eine Spastik ist eine Verkrampfung der Muskulatur. Diese Verkrampfung können Patienten selbst erkennen und Angehörige auch. Wenn Patienten also beispielsweise ihre Arme nicht schlaff herunterhängen lassen können, sondern diese in einer verkrampften Beugehaltung haben, oder wenn sich beim Gehen die Beine ganz steif anfühlen und sich Fuß oder die Zehen verkrampfen – das sind Merkmale. Aber Patienten spüren das natürlich als andauernde Anspannung, als Schmerz. 

Natürlich können Therapeuten eine Spastik sicher erkennen. Dann sollte man immer überlegen: Wird nicht nur etwas gegen die Schwäche getan, sondern auch gegen die Verkrampfung? Da gibt es wirksame Medikamente wie das Botulinumtoxin, das man in die Muskeln spritzen kann. Wenn so eine Verkrampfung auftritt, sollte man sich einen Neurologen oder eine Spezialambulanz in einer Klinik suchen, die sich damit besonders auskennen und mit Botulinumtoxin behandeln können. 

Es ist leider so, dass nur wenige niedergelassene Neurologen eine solche Behandlung anbieten – am besten sucht man hier im Internet nach geeigneten Behandlern. So kann man auch Frustration vermeiden, wenn der behandelnde Arzt einem vielleicht gar nicht weiterhelfen kann. Therapeuten können die Spastik meist gut behandeln. Aber bei Neurologen ist das momentan leider noch anders. Die Spastik zu erkennen ist also gar nicht so schwierig – es ist eher die Herausforderung, einen Arzt in der Nähe zu finden, der sich damit auskennt.

Hofstetter:
Gut zu erkennen ist die Spastik meist am Spitzfuß. Da ist meine Empfehlung: Bitte keine Schiene, da verkrampft der Fuß noch mehr, wenn er so hochgehoben wird. Auch bei der Hand kann das vorkommen, dass man die gar nicht mehr richtig öffnen kann, weil sie so verkrampft ist. Das sind Zustände, wo man sagen muss, da ist wirklich ein guter Neurologe gefragt. Da ist meine Empfehlung, gehen Sie an eine Universitätsklinik, da gibt es oft neurophysiologische Ambulanzen, die mit Botulinumtoxin arbeiten und sich damit auskennen. Da würde ich in so einem Fall hingehen.